Ein Literarischer Rettungsschirm für Europa

Die emotionale Tragweite Europas
Bernhard Lorentz, Geschäftsführer der Stiftung Mercator, zu der Tragweite des „Internationalen Rettungsschirms für Europa“, der im Rahmen der 12. Internationalen Literaturfestspiele in Berlin aufgespannt wurde.

Wenn wir der Berichterstattung Glauben schenken dürfen, steht die große Idee »Europa« kurz vor ihrem Ende. Bankenkrise, Schuldenkrise, Staatskrise – nationale Haushalte geraten in die Zahlungsunfähigkeit und das "Sparen" wird zum neuen Diktum einer ganzen Generation, insbesondere in Südeuropa. Vor dem Hintergrund unserer gegenwärtigen Debatte verwandelt sich die einst so stolze europäische Integration in ein Kaleidoskop volkswirtschaftlicher Schlüsselbegriffe, die vor wenigen Jahren nur ausgebuffte Experten aus dem Ärmel schütteln konnten.
Für mich ist klar: Europa ist mehr als eine Patchwork-Gemeinschaft von Handel, Binnenmarkt, Banken und Haftungsunion. Europa ist nicht nur einer der wichtigsten Bezugspunkte deutscher Politik, sondern auch der zentrale Garant für die individuelle Entfaltung seiner Bürger. Wer kann schon von sich behaupten, bisher nicht in den Genuss einer der vielen Vorteile des grenzenlosen Kontinents geworden zu sein? Friedenssicherung, Bildungsförderung und Verbraucherschutz – Europa bietet seinen Bürgern zahlreiche Errungenschaften. Diese sind allerdings für viele zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Angesicht der aktuellen Herausforderungen gilt es, sich das bereits Erreichte und den damit verbundenen Nutzen bewusst zu machen. Genau an dieser Stelle möchten wir als eine der großen deutschen privaten Stiftungen wirken. Wir glauben, dass die Europäische Union weiterhin das bestmögliche Zukunftsmodell für unseren Kontinent ist. Nur gemeinsam können wir Europäer in einer komplexen multipolaren Welt einen entscheidenden Beitrag zur Lösung von globalen Herausforderungen leisten. Der jeglicher Träumerei unverdächtige Helmut Schmidt hat hierzu kürzlich im Rahmen unserer Kampagne "Ich will Europa" festgestellt: "Wir Europäer können im globalisierten Weltgefüge nur gemeinsam bestehen, nur gemeinsam werden wir unsere Werte von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit behaupten. Die europäische Integration ist im Interesse aller europäischen Völker. Deshalb müssen wir für Europa kämpfen. Mit Herz, Verstand und mit dem notwendigen Respekt voreinander." Um dem wachsenden Desinteresse an Europa und einem erstarkenden Nationalismus entgegenzuwirken, sind vor allem Zukunftsvisionen notwendig, die Europa einen Fokus geben und mehr Emotionen wecken.
Der literarische Rettungsschirm leistet genau das. Er liefert einen positiven Kontrapunkt zur gegenwärtigen Krisenrhetorik. Indem seine Autoren ein subjektiv-emotionales Bild über ihr Europa zeichnen, nimmt die komplexe Idee des europäischen Zusammenwachsens Gestalt an. Europa erfahrbar machen! Das ist das Ziel der vorliegenden Kollektion von Essays. Die individuellen, teils kritisch-reflektierenden Zugänge, mit welchen die Autoren dem Europaverständnis gegenüber treten, machen eines deutlich: Europa ist eben nicht das ferne Gebilde. Es materialisiert sich ganz konkret in der Lebenspraxis seiner Menschen. Die emotionale Tragweite Europas muss ein jeder Leser für sich selbst hinterfragen. Wenn der vorliegende Band einen bescheidenen Beitrag dazu leisten kann, ist schon einiges erreicht.