Warum Europa?
Warum eigentlich Europa? Warum nicht der Westen? Warum nicht die Welt? Warum nicht Nur-Deutschland, Nur-Frankreich?
Meine Antwort vorweg: Europas Krise ist eine Kopfkrise. Wir denken alles in nationalen Kategorien: Gesellschaft, Staat, Öffentlichkeit, Souveränität. So ist Europa nicht zu verstehen und ich glaube nicht, dass Europa auf den Trümmern der Nationalstaaten entstehen kann. Wenn es eine Idee gibt, die die Europäer heute neu beflügeln könnte, dann ist es die des kosmopolitischen Europas, weil sie den Europäern die Angst des Identitätsverlusts nimmt.
Je sicherer und in ihrer nationalen Würde anerkannter sich die Europäer fühlen, umso weniger werden sie sich im Nationalstaat einigeln, umso entschiedener werden sie für europäische Werte in der Welt eintreten. In einem in diesem Sinne kosmopolitischen Europa, in dem die Menschen Wurzeln und Flügel haben, würde ich gerne leben.
Was macht den Kern der heutigen Krise aus? Das Europa der Eliten ist am Ende! Unsere Regierung könnte ausnahmsweise eine neue Idee – die Europäisierung Europas von unten – entwickeln. Man sollte Erfahrungs- und Praxisräume einer selbstbestimmten Demokratisierung Europas von unten öffnen. Da droht natürlich die Paradoxie: Wie organisiere ich Spontaneität von unten von oben? Aber vielleicht geht es darum, den Bürgern europäische Möglichkeitsräume und -träume zu erschließen und sie dann in Ruhe zu lassen.
Die Europäisierung eröffnet ein neues Positivsummenspiel zwischenstaatlicher Kooperation in der globalisierten Welt: Gemeinsame Lösungen dienen dem nationalen Interesse. Diese Paradoxie gilt es zu begreifen: Wer Lösungen für Deutschland will, muss europäische Antworten suchen. Wer nur national denkt, handelt unpatriotisch. Nur wer sich für die Anderen öffnet, kann sich in der universalen Nachbarschaft aller über Grenzen hinweg neu orientieren und sinnvoll handeln.
Arroganz und Selbstverleugnung gilt es zu überwinden und die Anerkennung der kulturellen Differenz nicht als Blockade, sondern als Antrieb zum Handeln, zur Kreativität zu verstehen.
Ulrich Beck
(Auszug aus einem Beitrag für die Publikation „Abendland unter? Reden über Europa“)



