In kleiner Münze
Wer über Europa spricht, erzählt gerne von Großem: einem geeinten Europa, das Vorbild für die ganze Welt ist, von der nie dagewesenen, andauernden Krise, vom Scheitern der Idee Europas. Nennt exorbitante Geldsummen, ruft Zeugen, Bürgen, Fachleute herbei. Dabei wird oft die vorhandene, diskriminierende Darstellung von "Geberländern" und "Nehmerländern" noch verschärft, erleben nationalistische Vorurteile eine Renaissance, wird die Idee von Europa reduziert auf ein finanzielles Problem.
Angesichts dieser Erzählungen und der Krisenszenarien, die das Sprechen über Europa beherrschen, entstand eine Idee: Wie wäre es, AutorInnen aus ganz Europa zu einem "literarischen Rettungsschirm" einzuladen? Sie um eine [autobiographische] Geschichte über das Erleben Europas zu bitten, ein Gedicht, einen Essay – kurz: einen literarisch gestalteten Gedanken, der die Idee Europas pointiert, um eine Verständigungsebene erweitert, literarische Mittel ins Spiel bringt, die in Ton und Thema europäisch ist, ohne die Last der dominanten Themen "Krise", "Bürokratismus" tragen zu müssen.
Texte, die die Leserinnen und Leser dazu einladen, über ihr Europa, ihre europäischen Geschichten nachzudenken. Diese eigenen Geschichten sind die kleinen "Euro-Münzen", die jede und jeder von uns bei sich trägt, für die man allerorts einen Kaffee kriegt, bei dem sich ins Gespräch kommen, die Geschichten weitererzählen lässt.
Uns kam es auf Vielstimmigkeit, auf Unterschiedlichkeit der Text- und Redebeiträge an. Andere Standpunkte als Gewinn zu betrachten, heißt auch: Europa mit den Mitteln der Literatur zu verstehen und es weiterzuerzählen.
Die Beiträge des literarischen Rettungsschirms wurden vom 14. bis 16. September 2012 beim internationalen literaturfestivals berlin im Rahmen des Fokus "Europe Now" von den Autorinnen und Autoren vorgestellt und diskutiert – in einem großen europäischen Gespräch.
Die Europa-Erzählungen sind nun online zum kostenlosen Download verfügbar.



