"Beispiel, aber nicht Vorbild"

Barry Desker, langjähriger Diplomat aus Singapur, spricht am Rande des 11. Internationalen Expertenworkshops der BMW Stiftung Herbert Quandt über Europa und Asien.

Die Verschiebung des Kräftegleichgewichts in Richtung Asien hält er für unumkehrbar. Dennoch glaubt Botschafter Barry Desker an Europas Zukunft. Barry Desker ist Dekan der S. Rajaratnam School of International Studies und Direktor des Institute of Defence and Strategic Studies an der Technischen Universität Nanyang (NTU) in Singapur. Der langjährige Diplomat ist ein scharfsinniger Beobachter der gegenwärtigen Entwicklung in Europa. Seine Überlegungen äußerte er am Rande des 11. Internationalen Expertenworkshops in München.

Könnte man in Bezug auf die asiatisch-europäischen Beziehungen sagen, dass Asien in der Vergangenheit von den Europäern vernachlässigt wurde?

Ich glaube nicht, dass Asien von Europa vernachlässigt wurde, aber Europa hätte wohl gern gesehen, dass sich Asien nach seinen Vorstellungen entwickelt. Und das führte zu unterschiedlichen Wahrnehmungen auf beiden Seiten. Ein Beispiel dafür ist Myanmar. Nachdem Myanmar als Mitgliedsstaat in die ASEAN aufgenommen wurde, war es sehr schwierig, Treffen der ASIA-EUROPE-Gruppe zu organisieren, aus dem einfachen Grund, weil die europäischen Politiker ein Problem damit hatten, mit einem Minister aus Myanmar am selben Tisch zu sitzen. Aber es ging dabei ja nicht um die Anerkennung einer Regierung oder eines Staates; man hätte die Treffen einfach als eine internationale Konferenz ansehen können.


Europa scheint derzeit in einer Identitätskrise zu stecken und keine klare Zukunftsvision zu haben. Welches Modell könnte für Asien funktionieren?

Wir haben gesehen, was mit der Eurozone passiert ist. Ich glaube, es hat die Menschen in Asien bzw. Ostasien davon überzeugt, von einer gemeinsamen Währung abzusehen. Asien möchte nach wie vor die Zusammenarbeit in allen Bereichen der Wirtschaft verstärken, v.a. durch regionale Freihandelsabkommen und gesteigerte Konnektivität: mittels Eisenbahn-, Straßen- und Luftverkehrsverbindungen als auch innerasiatische institutionelle Verflechtungen. Meines Erachtens wird Europa nicht notwendigerweise als Vorbild für Asien fungieren. Europa mag als Beispiel dienen. Aber Asien wird wählerisch sein und nicht unbedingt den europäischen Weg beschreiten – vor allem wird es nicht die Fehler begehen, die Europa in der Vergangenheit gemacht hat. Jedes Buch hat seine eigene Geschichte – und so wird auch Asien sein eigenes Buch schreiben.

Aus politischer Sicht ist das Zusammenwachsen Europas ein großer Erfolg: die EU ist eine kriegsfreie Zone und Europa erlebt einen langen Zeitraum des Friedens. Kann nicht zumindest das als Vorbild dienen?

Wir blicken sehr optimistisch in die Zukunft. Als Singapur 1965 die Unabhängigkeit erlangte, wurde die Region als Balkan des Ostens gesehen. Es gab viele Konflikte: Indonesien gegen Malaysia, Malaysia gegen die Philippinen, der Vietnamkrieg war im Gange, Burma kämpfte mit internen ethnischen Konflikten, in mehreren Ländern kam es zu kommunistischen Aufständen. Heutzutage herrscht Frieden. Die zwischenstaatlichen Beziehungen sind im Großen und Ganzen recht gut. Nur hin und wieder gibt es kleinere Konflikte, z.B. zwischen Thailand and Kambodscha wegen Grenzstreitigkeiten, oder wegen Landbesitzfragen in einem kleinen Rahmen. Aber ich denke nicht, dass es zu einem größeren Krieg kommen wird.

Wie sieht Asien Europa? Hat Asien ein positives Bild von Europa?

Europa steht vor einer großen Herausforderung. Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise scheinen heutzutage eher die negativen Aspekte im Fokus zu sein. Aber die Frage ist doch, wo sich Europa in zwanzig Jahren befinden wird. Ich glaube, dass die Idee von Europa dann noch am Leben sein wird. Ob es die Europäische Union in ihrer jetzigen Form noch geben wird, weiß keiner von uns. Die Frage ist, ob die EU ihre aktuellen Mitgliedsstaaten behalten kann. Wird Griechenland aus der Eurozone austreten? Und falls Griechenland am Ende dieses Jahres noch Mitglied ist, schießen sich die Spekulanten möglicherweise auf eine andere Wirtschaft ein, auf Spanien oder Italien. Auch wenn es zu keinem Austritt kommen sollte, bleiben die Risiken bestehen. Das ist ein Problem für Europa. Da Europa seit dem Zweiten Weltkrieg eine 60 Jahre andauernde Phase wirtschaftlichen Wachstums erlebt hat, tut sich die europäische Öffentlichkeit schwer damit, ein Jahrzehnt der Stagnation zu akzeptieren.

Die wahren Herausforderungen liegen noch vor uns. Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass Europas Hard Power mit dem Aufstieg von Asien und von Schwellenländern wie Brasilien, Nigeria und Südafrika abnehmen wird. Es kommt also zu einer Verschiebung der globalen Machtverhältnisse.

Doch neigen wir aus meiner Sicht dazu, zwei Punkte zu unterschätzen: Europas Hard Power wird insofern sinken, als es die globalen Angelegenheiten nicht mehr dominieren wird. Aber dennoch wird Europa wirtschaftlich weiter wachsen und sich eines ausgezeichneten Lebensstandards sowie gesellschaftlicher und sozialstaatlicher Vorteile erfreuen. Die Europäer werden nach wie vor ein komfortables Leben führen.

Zweitens bedeuten diese Machtverschiebungen nicht, dass Europa keinen Einfluss mehr auf globale Ereignisse ausüben wird. Heutzutage spielt die Soft Power eine ebenso wichtige Rolle. Soft Power – das sind Werte, Kultur, Soziales – Aspekte, die für andere Nationen durchaus attraktiv sind. So ist zum Beispiel der Einfluss der Sprachen wie beispielsweise des Englischen nach wie vor sehr dominant. Ebenso wie der Einfluss der Populärkultur, des Kinos, des Sports. Die Fußball-Ligen von England, Spanien und Deutschland sind in Asien äußerst populär, die Spiele werden täglich von Hunderten von Millionen Menschen gesehen. Ich selbst bin ein großer Fan von Arsenal London und Barcelona. Wenn ich mich mit Arbeitskollegen zum Mittagessen treffe, unterhalten wir uns darüber. Eine Einflussnahme über die Kultur ist also nach wie vor gegeben. Ich glaube nicht, dass sich daran in den nächsten 20 Jahren etwas ändern wird. Wenn ich Europäer wäre, würde ich viel optimistischer in die Zukunft blicken als es die meisten Europäer meiner Erfahrung nach tun.

Was kann man tun, um die Partnerschaft zwischen Europa und Asien zu verbessern?

Für eine bessere Partnerschaft braucht es ein tieferes Verständnis. Dazu würde ich einen größeren Austausch befürworten, z.B. Studienaustauschprogramme oder Besuche von Offiziellen oder auch Gewerkschaftlern. Wenn Gewerkschaftler nach Asien kommen, werden sie sehen, dass sie nicht mit total benachteiligten Arbeitern konkurrieren, sondern dass diese oft mit der modernsten Ausrüstung arbeiten und von daher besser produzieren. Das wird ihnen ein neues Verständnis vermitteln. Meines Erachtens ist das Bewusstsein auf der supranationalen und der Regierungsebene bereits vorhanden. Das Problem ist, dass die europäische Idee in Europa hauptsächlich auf Regierungsebene existiert, aber von Seiten der Bürger recht wenig verstanden wird. Genauso wird die asiatische Herausforderung lediglich auf staatlicher Ebene gesehen und verstanden. Der Durchschnittsbürger ist nur voller Angst und Sorgen.

Die Fragen stellte Tobias Schlitzke.

Weitere Informationen (Link: http://www.bmw-stiftung.de/de/internationale-beziehungen/expertenkonfere...)