Die europäische Identität: ein Bekenntnis
Jugoslawien, Schweden, Griechenland, Sowjetunion. Wenn mich heute jemand fragt, wo mein Zuhause sei, sage ich: Europa. Mir vorzustellen, in Asien oder Südamerika zu leben, fällt mir nicht mehr so leicht. Ich verspüre ein größeres Verlangen nach einer mir vertrauten Umgebung. Das ist für mich das Besondere an Europa. Es steht für Vertrautes, gleichzeitig aber für kulturelle Vielfalt.
Ist es allein die geographische Nähe, die verbindet? Dann müsste mir Polen vertrauter sein als
Frankreich, was es nicht ist. Die Sprache? Ich hatte Französisch zwar in der Schule, geblieben sind mir aber nicht mehr als ein Dutzend Worte Trotzdem ist da dieses Gefühl von Zugehörigkeit. Früher wurde ich oft gefragt: Was bist du? Ich sagte, ich hätte einen deutschen Pass. Seit einigen Jahren aber werde ich nicht mehr gefragt, was ich sei, sondern als was ich mich fühlte. Am einfachsten wäre es zu sagen: als Europäer. Aber das klingt künstlich, wie eine Kopfgeburt.
Das ist das Schwierige am Europäersein. Europa ist auch ein politisches Konstrukt, ein visionäres, das seinen Bürgern einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, voraus ist. Es fallen Grenzen, bevor man die Länder dahinter entdeckt hat. Insofern wundert es nicht, dass vor allem das »alte« Europa ein Gefühl von Vertrautheit auslöst. Das wird sich ändern, es ist nur eine Frage der Zeit. Die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen innerhalb Europas reisen, umziehen und arbeiten wird ihre Wahrnehmung in Bezug auf Europa verändern.
Vielleicht ist die europäische Identität mehr ein Bekenntnis als ein Gefühl. Auch ein Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt.. Wer mich fragt, als was ich mich fühle, dem antworte ich: Die Länder, in denen ich aufgewachsen bin, sind ein Teil von mir, und ich bin ein Teil dieser Länder. Und sie sind ein Teil Europas.
Zum Autor:
Geboren 1971 in Zagreb. Als Sohn eines Flugzeugtechnikers in Schweden, Griechenland, Russland und Deutschland aufgewachsen. Studium der Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule. Heute freier Journalist und Autor in Berlin. Für seine Reportagen wurde er mit dem Hansel-Mieth-Preis (1999) und mit dem Theodor-Wolff-Preis (2005) ausgezeichnet. Sein zweiter Roman „Meeresstille“ stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2010. 2011 erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis.


