Die Krise der Jugend in Europa
„Eine Krise ist meistens etwas Vorübergehendes“, stellte Jutta Allmendinger, Professorin am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, zu Beginn ihres Vortrags in der Alten Reithalle in Stuttgart fest. Weshalb man die Krise der Jugend in Europa dennoch keinesfalls vernachlässigen dürfe, zeigte sie an einem persönlichen Beispiel und dem Ländervergleich zwischen Deutschland und Spanien auf. Während die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland bei knapp acht Prozent liegt, ist in Spanien jeder zweite junge Mensch zwischen 15 und 24 Jahren ohne Job. Doch Allmendinger schränkte ein: Trotz vorbildlicher Ansätze, um Jugendarbeitslosigkeit vorzubeugen, könnten auch wir „sehr viel mehr tun, als wir tun.“
So seien die Bildungs-, vor allem aber die Ausbildungschancen von Jugendlichen in Deutschland nicht gleich verteilt, wie sie an den Lebenswegen der Sandkastenfreunde ihres Sohnes illustrierte. Bei Kindern aus sozial schwächeren oder Familien mit Migrationshintergrund blieben immer noch Potentiale ungenutzt. Sie forderte, den „extrem hohen Sockel von Bildungsarmut“ in Deutschland abzubauen, im Schulunterricht Demokratie und den Umgang mit Vielfalt stärker in den Fokus zu nehmen, an Kitas und Ganztagsschulen ein inhaltlich ausgefülltes Ganztagesprogramm anzubieten und Hilfen für Brennpunktschulen zum Beispiel durch eine Bund-Länder-Finanzierung anzubieten. „Zu oft betreiben wir ein Bashing der Lehrer und Eltern. Stattdessen bräuchten wir mehr Sozialpädagogen und Psychologen, und sollten das Selbstwertgefühl von Lehrern, Eltern und Schülern an diesen Schulen entwickeln.“
Um der Jugendarbeitslosigkeit in Europa entgegenzuwirken, müsse man aber vor allem beim Ausbildungssystem ansetzen: „Die Bildung in Deutschland und Spanien unterscheidet sich nicht stark, sie setzt sich nur nicht entsprechend in Beschäftigung um“, so Allmendinger. Das duale Ausbildungssystem, eine deutsche Besonderheit, erleichtere jungen Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Es sei Modellen in anderen Ländern hinsichtlich der „Übergangsfähigkeit in den Beruf“ deutlich überlegen und „unser einziger Exportschlager“. Betriebe und neue Mitarbeiter könnten sich während der Ausbildungszeit kennenlernen, die „Parallelität einer betrieblichen und schulischen Achse“ erlaube eine größere Breite und Tiefe in der Wissensvermittlung.
Die Professorin riet zudem davon ab, die Zahl der Studenten an Hochschulen als einzige Kennzahl für eine erfolgreiche Wissensgesellschaft heranzuziehen. Sie bedauerte, dass durch das neue Bachelor- und Mastersystem das humboldtsche Bildungsideal zugunsten einer starken Berufsorientierung der Studiengänge verloren gehe. „So viel ich in Brüssel arbeite, so stark kritisiere ich dieses Benchmarking im tertiären Bereich.“
Jutta Allmendinger mahnte gleichzeitig die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt an. Prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete, schlecht bezahlte oder Teilzeitjobs seien für viele junge Menschen Realität, Sicherheiten fehlten. Angesichts dessen „sollten wir uns nicht wundern, dass die Geburtenzahlen heruntergehen“, sagte sie.
Um die Beschäftigungskrise junger Menschen in Europa nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen, empfiehlt die Soziologin, das duale Ausbildungssystem Deutschlands in andere Länder zu exportieren und einen „Fonds für Übergangsarbeitsmärkte“ einzurichten. Zudem gelte es, dem Ausbildungssystem mehr Beachtung zu schenken, nicht allein auf ein „Mehr“ an Universitäten zu setzen, sondern auf unterschiedlichen Bildungsebenen Angebote zu machen. „Der Sozialstaat braucht zwei Beine“, fasste die Wissenschaftlerin zusammen: „Eine invasive Bildungspolitik und eine gute Sozialpolitik.“ Zudem sei schlichtweg gemeinsames Handeln in Europa vonnöten. Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen habe größere Auswirkungen als zu einem späteren Zeitpunkt im Leben, denn „die Narben schließen ein ganzes Leben lang nicht“, so Allmendinger. „Die Verantwortung für jene ausgeschlossenen Jugendlichen ist die von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, aber auch von Ihnen allen.“
Der Siftungsvortrag wird von der Robert Bosch Stiftung seit 1982 veranstaltet.


