Djangos fahrende Flickwerkstatt
„Djangos fahrende Flickwerkstatt“ ist eines von drei Gewinnerprojekten des Wettbewerbs „Kultur im Dialog“, der im Jahr 2012 zum 5. Mal gemeinsam von der Schering Stiftung und MitOst e.V. ausgelobt wurde. Mit dem Wettbewerb werden Kulturprojekte unterstützt, die die nachhaltigen Beziehungen zwischen Nachbarländern oder in Grenzregionen Ost-, Mittel- und Südosteuropas fördern. Dorothea Ahlemeyer, Leiterin der fahrenden Flickwerkstatt, erläutert Idee und Umsetzung des Projektes.
Wer oder was ist Django?
Django ist ein Stofftier aus Reststoffen, das sich in Begleitung einer Schneiderin, einer Schreiberin und einer Fotografin auf die Reise nach Osten gemacht hat, um dem Zauber des Alltäglichen nachzuspüren und Fantasien zu verbinden. In Interaktion mit Menschen vor Ort haben wir alte Stoffe gesammelt und neu zusammengefügt, um Gefährten für Django zu schaffen. Die so entstandenen Fantasiefiguren und ihre Geschichten werden am Ende in einem Kunstbuch präsentiert, das Neugier, Entdeckergeist und Sensibilität für Fremdes und Vertrautes wecken soll.
Inwiefern trägt Ihr Projekt dazu bei, die Beziehungen zwischen Ländern Ost-, Mittel- und Südosteuropas zu fördern?
Die Grundidee war: Man gibt etwas von sich ab, um Teil eines Ganzen zu werden. Die acht Fantasiegestalten, die auf unserer Reise zum Leben erweckt wurden, verbinden Menschen. Die Geschichten, die in ihnen stecken, erzählen wir weiter. Die Leute, denen wir begegnet sind, haben mit ihren Gaben eine Fantasiewelt entstehen lassen, in der sich viele der grundsätzlichen Fragen, Freuden, Sorgen, Hoffnungen spiegeln, die Menschen ausmachen und beschäftigen. Man entdeckt das Gemeinsame in den Unterschieden.
Welche Länder waren für Ihr Projekt besonders interessant und warum?
Wir waren in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Bosnien und Kroatien. Besonders interessant waren für mich die Erfahrungen in Banja Luka in Bosnien: Django hat dort Menschen, Puppen und Tiere getroffen, die aus Ruinen einen neuen Planeten bauen. Das „Genesis Projekt“, von dem wir über seinen deutschen Sponsor, dem Verein Schüler Helfen Leben e.V. erfahren haben, erkundet mit Puppen im Kinderfernsehen große Fragen, z. B. „wem die Engel gehören“ und wie ein Haufen verrückter, verschiedenster Tiere Freunde werden können. Anders als erwartet, hat der Name der NGO keinen biblischen Kontext, sondern ist an eine Star Wars-Episode angelehnt, in der es um die Besiedlung eines jungfräulichen Sterns geht. Dem „guten Wolf“, der „mutigen Maus“ und ihren Gefährten geht es darum, mit Klischees aufzuräumen. Die Genesis-Leute haben Django Stoffe geschenkt, die für 23 neue Wesen reichen. Wo genau sie herkommen, wollten sie nicht sagen. Für sie zählt nicht, was war. Wichtig ist, was wird. Das hat mich sehr beeindruckt.
In den jeweiligen Regionen war Django auf der Suche nach dem „Zauber des Alltäglichen“. Worauf ist er gestoßen?
Zum Beispiel auf den jungen deutschen Freiwilligen Ludwig und die alte tschechische Jüdin Alena, die gemeinsam Swing hören. Ein Großteil von Alenas Familie ist von den Nazis umgebracht worden, seit Jahren nimmt sie an einem Programm der „Aktion Sühnezeichen“ teil, gibt jungen deutschen Freiwilligen in Budweis ein Zuhause. In ihrer Widmung für Django schreibt sie, sie freue sich sehr über die neue deutsch-tschechische Freundschaft.
Jede Region, die wir bereist haben und alle Menschen, die wir getroffen haben, haben uns auf ihre Weise den Zauber des Alltäglichen spüren lassen. Ich kann hier nicht jede Situation im Detail schildern, aber die Worte Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft, Neugier, Offenheit, Fantasie, Freigiebigkeit treffen ganz gut den Kern dieses Zaubers. Das wahrhaft Zauberhafte ist vor allem eines nicht: materiell.
Welche Figuren haben sich auf der Reise aus den „einfachen Dingen“ entwickelt?
Insgesamt acht. Zum Beispiel ein fliegender Dackel namens Buddy Lukas, in dem unter anderem der Vorhang eines DJ-Pultes, das Hemd eines ehemaligen Zwangsarbeiters und ein Buddha verwebt sind. Oder Lamela, eine engelsgleiche Figur aus den Stoffen, die uns die Menschen in Grgurići gaben, einem kleinen Dorf in Kroatien. Wir haben dort eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft erfahren, nachdem unser Bus liegen geblieben war und wir sieben Tage lang festsaßen.
Hauptberuflich sind Sie Lehrerin. Was motiviert Sie zu der Arbeit an solchen Kulturprojekten?
Auch in meinem Berufsalltag geht es darum, neue Perspektiven aufzuzeigen, sich in andere Menschen und ihre Welten hineinzufühlen. Projekte wie „Djangos fahrende Flickwerkstatt“ geben mir Inspiration dazu.
Was bedeutet Europa für Sie und Ihre Arbeit?
Als Politiklehrerin ist die Europäische Union für mich ein ziemlich präsentes Thema. Ich finde es krass, dass sich in den letzten Jahren die Einstellung vieler SchülerInnen dazu durch die Krise verändert hat. Ich versuche ihnen einen anderen Blick auf die aktuelle Situation zu vermitteln, beleuchte das Wunder, dass es in Zentraleuropa seit Jahrzehnten keinen Krieg gab, die Reise- und Bildungsmöglichkeiten, die die EU bietet und von denen z. B. auch unsere Schule profitiert (Comenius-Partnerschaft). Schwer fällt es mir allerdings die Fragen vieler SchülerInnen mit z. B. türkischem, albanischem oder afrikanischem Hintergrund zu beantworten, warum das grenzenlose Europa seine Außengrenzen so dicht geschlossen hält.
Ist „Europa“ ein Thema für die Menschen, die Sie auf Ihrer Reise kennenlernen durften?
Ja – in unterschiedlichster Hinsicht: Ludwigs und Alenas Begegnung zum Beispiel wäre ohne den europäischen Einigungsprozess so nicht möglich gewesen – und Alena hat uns eindrücklich deutlich gemacht, wie froh wir sein können, in einer Welt zu leben, die keine Grenzen kennt.
Umso schwieriger war es für uns, mit den Grenzen in Ex-Jugoslawien umzugehen. Für viele Menschen dort ist die EU eine zweischneidige Sache. Wie schwierig und grausam es sein kann, nicht dazuzugehören, zeigten uns zum Beispiel Vedo und Fatima. Der Ingenieur und die Lehrerin waren im Krieg nach Deutschland geflüchtet, haben dort ihre Kinder groß gezogen und bei Burger King Frikadellen umgedreht, bis eines Tages der Bescheid kam, dass sie zurück in eine Heimat gehen müssen, die für sie keine mehr war. Ihre Kinder durften in Deutschland studieren. Vedo und Fatima brauchen heute ein Visum, um sie zu besuchen.
Die Reise hat uns sehr stark verdeutlich, wie sehr es Glückssache ist, wo man geboren ist. Wir haben in Budweis, Bratislava und Pécs viele junge Menschen getroffen, die wie wir die Mobilität, die die EU bietet, sehr genießen. Zum Beispiel unsere slowakische Gastgeberin Katharina, die im Herbst ein Master-Studium in Berlin beginnt. Auch viele der NGOs, die wir besucht haben, konnten nur entstehen und sich weiterentwickeln, weil sie Fördergelder von der EU erhalten haben. Auch für MitOst e.V. ist die EU ja ein wichtiger Partner und Förderer.
Was wünschen Sie sich für Europa?
Solidarität und neue Perspektiven. Dass die ideellen Werte, die zur Gründung der EU geführt haben, nicht in den Hintergrund treten. Dass die EU offen ist für neue Einflüsse, Ideen und auch die Menschen, die nicht das Glück hatten, hier geboren zu werden. Dass seine Bürger den Zauber entdecken und schätzen, der in Dingen steckt, die nichts kosten und sich weniger mit Dingen aufhalten, die etwas kosten.
Interview: Andrea Bölling, Projektmanagerin in der Schering Stiftung, Berlin


