Standpunkt: Europa und der Nahe Osten

Für Europa ist die Nachbarregion südlich des Mittelmeers von erheblicher Bedeutung. Wir müssen alles tun, um zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Region beizutragen.

Die Europäische Union ist im Wesentlichen mit sich selbst und der Finanzkrise beschäftigt. Sie ist weder bereit noch in der Lage, das Führungsvakuum, das eine im Wahlkampf stehende und in der Region geschwächte amerikanische Regierung hinterlässt, zu füllen. Dennoch können und müssen wir größere Verantwortung übernehmen. Von allen Mitgliedstaaten gemeinsame getragene außenpolitische Entscheidungen zum Nahen Osten sind seltener geworden. Wir können zwar nicht allein ohne die USA und die Regionalstaaten den Streit zwischen Israel und den Palästinensern lösen, aber wir sollten auch mehr Verständnis für die Belange der Palästinenser zeigen und akzeptieren, dass ihre Rechte in den besetzten Gebieten verletzt sind. Eine gemeinsame europäische Haltung ist nötig, ohne dass Israels Sicherheit gefährdet würde.

Für uns Europäer ist unsere Nachbarregion südlich des Mittelmeers von erheblicher wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Bedeutung. Zerfallende Staaten würden auch unsere Sicherheit bedrohen. Wir müssen alles tun, um zur wirtschaftlichen Stabilisierung in den Ländern, der Region beizutragen. Es geht nicht in erster Linie um Geld. Davon gibt es in den Golfstaaten genug. Es geht um die Öffnung von Märkten und eine erleichterte Mobilität der Menschen.

Die EU muss ihre Märkte öffnen insbesondere für agrarische Produkte aus der Region. Wir müssen bestehende Beschränkungen auf den Prüfstand stellen. Erweiterte Absatzmöglichkeiten in Europa werden dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Zahlungsbilanz der arabischen Länder zu verbessern. Erst Arbeitsplätze geben der Jugend eine Perspektive und verhindern, dass die Flüchtlingsströme zunehmen.

Wir brauchen eine Art Marshallplan für die Mittel- und Nahostregion, einen Pakt für Arbeit und Ausbildung. Das wäre eine Investition in die europäische Sicherheit durch die Stabilisierung unserer südlichen Nachbarregion. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung geht es auch um politischen Fortschritt: Europa muss sich auf die Seite der Reformkräfte stellen und weiter auf Reformen drängen.

Jürgen Chrobog
Vorsitzender des Vorstandes, Staatssekretär a. D.
BMW Stiftung Herbert Quandt