Arbeitsmarktreformen in Krisenzeiten

Altbundeskanzler Schröder und Vize-Premier Reynders eröffnen deutsch-belgischen Spitzendialog
Gemeinsam mit dem belgischen Egmont-Institut lud das Büro Brüssel der Bertelsmann Stiftung am 17. April zur inzwischen dritten bilateralen Konferenz Belgien-Deutschland ein. Die hochrangig besetzte Veranstaltung im Palais d’Egmont stand dieses Jahr unter dem Titel „Dialog in schwierigen Zeiten. Arbeitsmärkte, Bildung, Sozialpartnerschaft“. Eröffnet wurde sie von Altbundeskanzler Gerhard Schröder und dem belgischen Vize-Premierminister Didier Reynders

Vor rund 200 Teilnehmern skizzierten Schröder und Reynders die jeweiligen arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen Reformprioritäten zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Belgiens vor dem Hintergrund von Eurokrise, verschärftem globalen Standortwettbewerb und einer alternden Erwerbsbevölkerung.
Altkanzler Schröder machte deutlich, dass die unter seiner Bundesregierung 2003 mit der „Agenda 2010“ durchgesetzte Politik des Forderns und Förderns wesentlich dazu beigetragen habe, dass Deutschlands Wirtschaft heute, trotz Krise, so erfolgreich dastehe. Nun gelte es aber, mutig das Projekt einer „Agenda 2030“ anzugehen, um Wachstum und Beschäftigung in seinem Land auch längerfristig zu sichern. Nötig seien vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um den Anteil erwerbstätiger Frauen zu erhöhen, ein Bildungssystem, das niemanden zurücklässt und vor allem Kinder aus Zuwandererfamilien voll integriert, sowie eine moderne Einwanderungspolitik, die hochqualifizierte Fachkräfte ins Land holt.
Gleichzeitige müsse ein solches Reformprogramm für ein zukunftsfähiges Deutschland aber jene sozialen Fehlentwicklungen korrigieren, die durch die Flexibilisierungspolitik der „Agenda 2010“ mit verursacht worden seien. Er nannte hier zum einen das Anwachsen des Niedriglohnbereichs seit Mitte der 1990er Jahre. Um hier gegenzusteuern, empfahl Schröder die Einführung von Mindestlöhnen, die Branchenbesonderheiten Rechnung tragen müssten. Zum anderen beklagte Schröder den missbräuchlichen Einsatz von Zeitarbeitern als Billigarbeitskräfte. Es müsse sichergestellt werden, dass Zeitarbeiter für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft eines Betriebes erhielten. Jenseits dieser nationalen Modernisierungserfordernisse sprach sich Schröder mit Blick auf die EU für eine stärkere Vergemeinschaftung der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik aus, die weg von einer reinen Sparpolitik und hin zu einer europäischen Wachstumspolitik führen müsse.
An der anschließenden Debatte zur Aktualität von flexicurity-orientierten Arbeitsmarktreformen für Belgien und Deutschland beteiligten sich unter anderem die belgische Arbeitsministerin Monika De Coninck, Staatssekretärin Beate Bröcker aus dem Arbeits- und Sozialministerium Sachsen-Anhalts, der ehemalige Vorsitzende der belgischen Nationalbank Guy Quaden, die stellvertretende Kabinettschefin von EU-Kommissar Barnier Kristin Schreiber, der Präsident des Belgischen Unternehmerverbandes FEB-VBO Pierre Alain De Smedt, die Generalsekretärin des belgischen Gewerkschaftsbundes ABVV/FGTB Anne Demelenne, Peter Clever als Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDA sowie Mario Ohoven, Präsident des deutschen Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft (BVMV) und der Europäischen Vereinigung der Verbände Kleiner und Mittlerer Unternehmen (EV-KMU).